Katalogtext zur permanenten Rauminstallation in der Polizeidirektion Reutlingen, 1998
Ein Projekt der Staatlichen Vermögens- und Hochbauverwaltung


Für den Verbindungstrakt zwischen zwei bestehenden Gründerzeitbauten, der im Zuge des Neu- und Umbaus der Polizeidirektion Reutlingen entstand, hat Anna Tretter eine Konzeption entwickelt, welche die funktionale Durchgangssituation eines Verteilerraums zum Wahrnehmungs- und Reflexionsraum erweitert.

Für ihren Ansatz ist bezeichnend, daß sie Raum nicht als Gehäuse begreift, das mit Kunst zu füllen, ja regelrecht zu möblieren ist, sondern als eigene Qualität, die in ihrem künstlerischen Potential entfaltet werden muß. Sie orientiert sich dabei ganz an den Gegebenheiten der Architektur und den Lichtverhältnissen, die sie durch wenige gezielte, aber folgenreiche Eingriffe interpretierend verändert: Die Front zur Straße wird nicht mit farblosen, sondern mit grünen Scheiben verglast und die Wände verspiegelt bzw. mit einem Silberlackanstrich versehen. Alle diese Umgestaltungen sind dabei so konsequent vom Bestehenden aus entwickelt, daß sie nahezu völlig in der Raumwirkung aufgehen und auch materiell kaum oder gar nicht als Hinzufügungen hervortreten. Einziges greifbares Element ist ein Siebdruck auf Glas, der - gehalten von einem Stahlrahmen im 90°-Winkel - in den Raum ragt.

In seiner stark verfremdenden Wirkung am Auffälligsten ist zunächst das grüne Glas, durch das die Umgebung als einheitlich gefärbtes Ganzes bildhaften Charakter gewinnt. Ebenfalls durch die Scheiben bedingt ist das schon von weitem irritierende, grünlich gefärbte Tageslicht, in das der Durchgang getaucht ist. Bei längerem Verweilen jedoch tritt das Grün der Scheibe und des Lichts immer mehr zurück, da das Auge sich nun auf den Dauer-reiz entsprechend einstellt hat und ihn kompensiert. Insofern erfährt der Betrachter seine Wahrnehmung als trügerisch bzw. das Sehen als einen der permanenten Veränderung unterworfenen und nur be-dingt steuerbaren Vorgang.

Zurückgeworfen wird das Licht durch den wandfüllenden Spiegel gegenüber der Glasfront, der sich auf der um wenige Stufen nach unten versetzten Ebene befindet. In ihm spiegelt sich der Raum, die durch das farbige Glas gesehene Umgebung und nicht zuletzt der solchermaßen involvierte Betrachter, sei er nun innerhalb oder außerhalb des Gebäudes. Als eine Art Gegenstück zur transparenten Scheibe wird auch hier die Raumgrenze aufgehoben, indem der Raum durch den Spiegeleffekt virtuell er-weitert und das Bild des Äußeren - verkehrt - nach Innen geholt wird. Insgesamt ergibt sich so entgegen der Hauptverbindungsachse der alten Ge-bäu-de eine quasi visuelle Streckung des Raumes, wodurch dieser den Charakter ei-nes richtungsindifferenten Zen-tralraums erhält, in dem sich gegenläufige Achsen durchdringen und ausgleichen.

u den Seiten des Spiegels hin klingt die Arbeit in zwei paral-lel zu diesem verlaufenden, um Türesbreite versetzten Wänden aus, die eine Verbindung zu dem dahinterliegenden Kom-plex des eigentlichen Neubaus schaffen. Beide sind mit Silber-lack über-zogen, da dieser Farbauftrag die Eigenart hat, das einfallende Licht besonders sensibel einzufangen und auf ganz andere Weise als der klare Spiegel materialeigen zu reflektieren. Dadurch wird die Wandstruktur in allen Feinheiten offengelegt und nicht durch einen zudeckenden Anstrich nivelliert. Während die Wand rechts vom Spiegel nach hinten versetzt dem einfallenden grünen Licht zugewandt ist, steht die linke hinter einer Glastür nur noch über den Spiegel mit dem Verteilerraum in Verbindung. In dem Hinausgreifen der Arbeit über den eigentlichen Hauptraum wird der Raum einmal mehr als etwas offen Fluktuierendes begriffen. Zudem stimmt vor allem die dem Spiegel zugewandte Wand in ihrem leichten, durch den Komplementärkontrast mitbedingten Grün-Rot-Schimmer den vom Neubau kommenden Be-trachter auf den hinter der Glastür befindlichen Raum ein.

Das Verwirrspiel mit Licht, Reflexion und Farbe erhält durch den in den Raum ragenden Siebdruck eine inhaltliche Dimension in Bezug auf die Nutzung des Gebäudes. Auf Glas gedruckt und sowohl transparent als auch spiegelnd fügt er sich zunächst formal in das beschriebene Gefüge ein, setzt aber gleichzeitig mit seiner bildhaften Darstellung einen ganz neuen Akzent. Grundlage war ein Amateurphoto, das durch Verkehrung ins Nega-tiv und die technisch bedingte Rasterung seinen privaten Charakter weitgehend einbüßt. Dargestellt ist ein Jugendlicher, der in der Pose eines Abendteurers bzw. Guerriglieros sein Gewehr präsentiert, wobei das übermächtige, stereotype Tapetenmuster der 70er Jahre den Eindruck dominiert und das selbstbewußt Auftreten des Einzelkämpfers zu konterkarieren scheint. Das Bild, das in seiner Vieldeutigkeit weder propagiert noch polemisiert, thematisiert Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung: ein Thema, dem gerade im Alltag der Polizei, die Gewalt verhindert, anwendet, aber auch erleidet und provoziert, ein zentraler Stellenwert zukommt. Zu entscheiden ob und wann Gewalt wie und in welchem Maße nötig ist, erfordert eine ständige Selbstreflektion in Auseinandersetzung mit der Öffentlichkeit, wozu die in ihrer Komplexität und Offenheit herausfordernde Arbeit Anna Tretters Anstoß, Chance und Verpflichtung sein will.

Felix Reuße, 1998