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Der Künstler K. kam hier an und fragte mich nach einem Schlosser, der für ihn ein Haus aus Edelstahl schweißen könnte. Edelstahl schweißen, das kann nicht jeder. K. hatte einen Wettbewerb für Kunst am Bau gewonnen. Auf das Ende eines Stahlträgers, der das Flachdach einer Universität weit überragt, wollte er ein Häuschen stellen, das in sich geschlossen und „freischwebend“ auf dem Eisenträger balancierte und an eine Studierstube von Mönchen erinnern sollte.

    Haus als Burg? Hab ich nicht so einen Holzschnitt in meinen Kästen? Hieronymus im Gehäuse? - Oder was?

Weil er je länger je weniger sicher war, ob er selbst wusste, wie eigentlich ein Haus aussieht, liess er sich für die Proportionen von Vittorio Magnago Lampugnani inspirieren, weil der, wie er sagte, in diesem – also dem letzten – Jahrhundert der einzige sei, der noch echt wisse, wie ein Haus einfach als Haus auszusehen hat. Vielleicht war die Grundform eher eine Bauernscheune. Wie ein richtig schöner kleiner „Stadel“ aus dem Bauland im Odenwald, wo ich daheim bin.

Haus = griechisch Oikos, Landwirtschaft, Ökonomie? – Worauf willst du hinaus?

- Ein Haus ist ein Haus ist ein Haus ist ein Haus ist ein Haus...

Später erzählte mir ein Kollege, der mit ihm gemeinsam an einer Ausstellung beteiligt war, K. habe diese Skulptur nach kurzer Zeit wieder abgebaut und vergraben.

     Das machen ja auch Kinder, die ihr Getanes nicht mehr sehen wollen.

      - Und dieses Kunstwerk, hast Du es überhaupt einmal gesehen?

Nein, aber ich kenne ähnliche Sachen von K. – Wie er sich z.B. für eine zusammengeschusterte, halbzerfallene Hundebox interessierte oder auf Wiesen einsame Heuschober fotografierte. Und aus alten Blechen kleine Modelle baute, deren Innenräume nur durch kleine Löcher einsehbar waren.

*

Nehmt doch Kaffee! ... Also, ich  bin mit ihm zu einem Schlosser gefahren, weil er einen suchte, der Edelstahl schweißen und  ihm sein Vorhaben realisieren konnte.

War das Häuschen zugänglich von außen? Hatte es Türen oder Fenster? Oder Löcher zum Hineinspicken? Astlöcher, wie in den alten Freibädern an den Kabinen?

... oder einen Kamin, durch den man die gebratenen Hühner stehlen konnte wie bei Max und Moritz?

Quatsch Ihr zwei! Aber es stimmt schon: Wer ein Haus macht, macht damit immer hundert Geschichten.

Moment - wenn jemand ein Haus macht, dann hat das immer auch ein Innen. Selbst wenn er von außen den Voyeur spielt, sitzt nämlich jemand drin. Jetzt stelle ich mir vor, ich sitze drin, habe mich vielleicht gerade mit Mühe vertraut gemacht damit – und dann holt dieser K. das Gehäuse herunter und begräbt’s. Das ist doch ein Alptraum!  

Dann  ist es ein Sarg. Viele Grüße aus Bagdad. Man kann das Haus auch plündern oder die Bücher drin anzünden... Was noch?

*

Also, ich habe das Haus von K. nie fertig gesehen, es gibt also nur diese Nachgeschichte: Er findet seine Idee ganz toll, realisiert sie – und dann macht er sie unsichtbar.

     Wollte er sie denn letztendlich wieder zerstören?

Es sollte ja am Anfang etwas sein, was freischwebend ist, und dann hat es vielleicht doch wieder Erde nötig gehabt, es braucht ja den Bezug nach unten? Ein Bodengefährtle?

Keine Ahnung. Vielleicht müsste man ihn dazu noch mal anrufen.

- Aber eigentlich geht das nicht. Mich ärgert es immer, wenn jemand sagt: Erkläre dein Kunstwerk. Erkläre dich zu deinem Kunstwerk! Was ist damit passiert? - Uns hier kann doch jetzt nicht interessieren, wie es dann tatsächlich weiterging.

      Das Kunstwerk selbst hat eine Geschichte erzeugt...

... oder Geschichten. Tausendundeine ... Woher weißt du überhaupt, dass er eine Studierstube gemacht hat und nicht das Haus für einen Harem?

Die größte Faszination besteht ja oft darin, dass man etwas nicht genau weiß, und gerade deswegen bleibt man dabei hängen. Du denkst an einen Harem. Jemand anders an eine Zollstation. Oder an eine Kneipe... - Und auf einmal entstehen Dinge, von denen der Künstler K., der dieses Häuschen gemacht hat, selber keine Ahnung hatte ... sich nicht mal träumen ließ!

Sind eigentlich Träume zulässig, um ein reales Kunstwerk zu interpretieren? Der K. hat da eine tolle Idee, und nachher komme ich an mit meinen verrückten Träumen daher, nur weil ich am Abend vorher Linsen gegessen habe?

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Trotzdem: Das hatte ich noch nie gehört, dass jemand einen Realisierungsauftrag erhält und diesen richtig und vollständig ausführt. - Und dann sagt: Nein, das ist es so nicht! - Und also das fertige Werk wieder entzieht...

Das ist einfach verrückt, damit wird ein Tabu gebrochen! Das hat wahrscheinlich in dieser Form noch keiner vor ihm gemacht.

Was ist das Tabu, das er bricht? Der Satz: Kunst will ewig sein – der ist doch schon lange perdu!

Dass der Künstler immer geil darauf wäre, sichtbar zu bleiben? Oder dass er jeden Auftrag annimmt? – Übrigens, ein Häuschen von Diter Roth aus Schokolade hätte wohl auch nicht viel länger gehalten.

Mich erinnert das an die Geschichte von Yves Klein, der Geld in die Seine wirft.

Oder die Leute in einen weißen Raum einlädt. Wo nichts ist, als der weiße Raum, nichts an den Wänden, nur ein Happening. - Gerhard Merz hat Jahrzehnte nach ihm in Venedig nicht viel anderes gemacht. Er hat den Raum ausgestellt, ...

      - aber auch die Leere deutlich gemacht, wo nichts ist.

Oder alles sein kann -  ein buddhistischer Gedanke. - Habt Ihr gewusst, dass die alten Griechen kein Wort, keinen Begriff für den unendlichen Raum hatten. Für die hatte alles einen Körper. Auch die Leere hatte einen begrenzten Körper ...

Vielleicht machen uns solche Geschichten klar, dass wir, ohne es richtig zu begreifen, wieder in diese Richtung gehen.

Jemand hat nur den dunklen Raum ausgestellt: Licht an / Licht aus, und das war`s. - Eine Reaktion auf das aktuelle Kunstgeschehen. Das sind alles Arbeiten, die eine  Richtung geprägt haben, und die irgendwie eine bestimmte Folgerichtigkeit hatten...

... wie man auch von Duchamp weiß, der nur noch Schach gespielt hat.

Darzu gibt es einen Kommentar von Beuys, der gesagt hat: „Das Schweigen des Marcel Duchamp wird überbewertet.“

Hast du nicht selbst solche Arbeiten gemacht mit Wänden aus fluoreszierendem Lack, auf dem die Schatten der Personen noch zu sehen waren, wenn sie schon weitergegangen waren.

     Hat denn Duchamp danach noch was gemacht? Außer Schweigen?

Er hat das Schachspielen kultiviert und wurde dadurch selbst zur Kunstfigur - da gibt es ein berühmtes Foto, wie er mit einer Freundin zusammen Schach spielt - er angezogen im Smoking, sie nackt. ... Er wusste natürlich, wenn er das so weiterführt mit den Ready-Mades,  dann ist das irgendwann manieriert, und er gräbt sich da selber das Wasser ab ... Wie geht so etwas weiter?  Wie lange macht es noch Sinn?

Es geht doch immer weiter. Später hat Nam June Paik das Foto von Duchamp und der Nackten genommen und es zusammen mit Charlotte Moormann neu inszeniert. Diesmal als Musik: „Lausige Cellistin, aber sie strippt gern.“ Später dacht er offenbar anders, sie waren eine ganze Zeit zusammen, und sie hat immer das Cello gestrichen. Auf der Bühne.

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Aber was tun, wenn alles gemacht ist?

Ich finde das schon einen Sterbeprozess, wenn einer sein Kunstwerk einbuddelt, die ganze Aktion, war das der Sinn der Sache -  und er wollte vielleicht auch selbst darüber bestimmen können, wann sie zu Ende ist, oder?

Wenn man etwas nicht versteht, dann lässt man es entweder als offene Frage stehen, oder jeder denkt es selbst für sich zu Ende.

Also, ich habe den Eindruck, das ist dieses Bodenlose, das man dann nicht mehr aushalten kann, wenn etwas schwebt. So wie du denkst, du bist schwerelos im Raum, dir fehlt der Bezug zur Erde. Dann zeigt sich die Kraft, dass du das brauchst, dass der Bezug zur Erde fehlt. ... Ob er das gesehen hat, dass er das nicht aushalten konnte, das Teil freischwebend zu  sehen? Wie der Turmbau zu Babel, wenn jemand zu hoch baut.

      Was macht der sonst so?

Also der Typ hat sich lange so mit so Hütten...

– Aber jetzt erst fällt mir ein, ich habe doch selbst einmal einen Entwurf gemacht, das sollte ein Denkmal werden für eine zerstörte Synagoge. Als das Haus brannte, haben sie die Tora in den Fluss geworfen. - Ich wollte einen hohen schrägen Mast über den Fluss hinaus ragen lassen, und daran ein Modell der Synagoge aufhängen.

    Ein Bethaus in den Lüften? Aus Edelstahl?

Nein, nur aus Eisen, Margarete.